Interkulturelle Kompetenz
Politik diktiert den Beruf
In der Schweiz bestimmen vor allem die eigenen Fähigkeiten, welchen Beruf man ausübt. In Syrien redet auch der Staat mit.
Junge Menschen in der Schweiz haben das Privileg, aus einer Vielzahl an Möglichkeiten den Beruf auszuwählen, der ihnen am meisten zusagt. Manal Salhia aus Syrien arbeitet beim Jugendnetzwerk SDM, das regelmässig Anlässe zum Thema Berufsfindung organisiert. Salhia hat eine hohe Meinung vom Schweizer Berufsbildungssystem und macht einen Vergleich mit der Situation vor dem Bürgerkrieg in ihrem Heimatland.
Berufswahl ist kein Wunschkonzert
In Syrien gibt es keine Tradition der individuellen Berufswahl. Wer eine Arbeit sucht, orientiert sich für gewöhnlich an der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt, und weniger an den persönlichen Interessen und Fähigkeiten. «Als ich noch in meinem Heimatland war, entschieden meine Matura-Noten, welches Studium ich machen kann und in welchem Bereich meine zukünftige Arbeitsstelle sein wird», erinnert sich Manal Salhia. Ausbildung und Studium sind vom Staat nach Bedarf des Arbeitsmarktes ausgerichtet und zentralistisch organisiert. Seit 2002 gilt in Syrien eine neunjährige Schulpflicht. Im Anschluss besteht die Möglichkeit zum Besuch einer sogenannten Sekundarschule. Dabei kann man zwischen einem allgemeinbildenden und einem berufsbildenden Zweig wählen.
Die klassische Lehre gibt es in Syrien nicht
Insbesondere bei Berufen im Handwerk gilt das Prinzip «Learning by Doing». Kompetenzen erwirbt man durch eine Mitarbeit im Betrieb, wo man durch erfahrene Kollegen angeleitet wird. Zertifikate, die eine mehrjährige Berufsausbildung nachweisen, gibt es in Syrien meist nicht. «Das erschwert die Stellensuche in der Schweiz, denn die meisten Arbeitgeber verlangen Diplome oder Zeugnisse», sagt Manal Salhia.
Die handwerklichen Berufe haben nicht wie hierzulande eine jahrhundertealte Tradition und geniessen auch nicht dasselbe Ansehen. Gleichzeitig besteht oftmals ein familiärer Druck, Geld nach Hause zu schicken. So tun sich junge Flüchtlinge manchmal schwer, ihren Familien erklären zu müssen, dass sie in der Schweiz zunächst kein Geld verdienen, sondern die nächsten drei Jahre eine Ausbildung machen.
Die Gelegenheit für Schnuppertage oder Praktika in einer Firma hätte es zu ihrer Zeit nicht gegeben, erzählt Salhia weiter. Hier in der Schweiz fänden Kinder und Jugendliche viele verschiedene Möglichkeiten, um erste Erfahrungen zu machen und sich dann zu entscheiden, was sie studieren oder lernen wollen.
Anlässe wie die Ostschweizer Bildungsausstellung OBA gebe es in Syrien nicht. Auch im Jugendtreff Mittelrheintal in Berneck, wo Manal Salhia mitarbeitet, finden regelmässig Anlässe statt, die der Berufsfindung förderlich sind, erzählt sie. Dazu gehören etwa der WerkstattWorkshop oder das Tüftelcamp.
Das Selbstvertrauen wird schon früh gestärkt
An einem PC-Workshop erfuhren die Kinder etwa, was sich im Innern eines Computers befindet oder wie sie bestimmte Reparaturen vornehmen können. Dazu stehen jeweils Fachpersonen von geachteten Firmen zur Verfügung. Im Rahmen einer Medienwoche drehte eine Gruppe von Kindern einen dokumentarischen Kurzfilm. Die Kinder schrieben das Drehbuch zu einer Geschichte und schlüpften in verschiedene Rollen: Die einen wurden Schauspieler, die anderen Kameraleute oder Regisseur. Am Abend hatten die Kinder einen eigenen Filmkasten. Solche Aktivitäten stärken das Selbstvertrauen und helfen, Talente und Fähigkeiten zu entwickeln. «Sowohl für Kinder als auch Erwachsene gibt es viele Chancen auf eine gute Ausbildung oder Arbeitsstelle», sagt Manal Salhia. Darum ist für sie das Schweizer Berufsbildungssystem eine Erfolgsgeschichte.
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